Ein Tabu mit tiefen Folgen
„Ich konnte nicht einfach gehen – ich hatte kein eigenes Geld.“
Dieser Satz ist kein Einzelfall. Er steht sinnbildlich für ein Thema, über das in Beziehungen, Familien und auch in der Öffentlichkeit viel zu selten gesprochen wird: finanzielle Abhängigkeit.
Vor allem Frauen, aber auch zunehmend Männer, erleben sich in Partnerschaften als ökonomisch unterlegen – sei es durch Rollenverteilungen, Teilzeitmodelle, Kinderbetreuung oder strukturelle Hürden. Was oft mit einem Kompromiss beginnt, endet nicht selten in einem Zustand der Unsicherheit, des Ungleichgewichts – und manchmal sogar in einer Abhängigkeit, aus der ein Ausstieg schwer oder unmöglich scheint.
Warum finanzielle Abhängigkeit verschwiegen wird
- Romantisierung von Rollenbildern
Noch immer existiert das Bild der „Versorger-Ehe“, in der der eine verdient und der andere sich um das Zuhause kümmert. Wer dieses Modell lebt, soll laut Gesellschaft dankbar sein – nicht kritisch. Eigene finanzielle Interessen zu betonen, wirkt schnell „unromantisch“ oder gar berechnend.
- Schuld und Scham
Viele empfinden ihre Abhängigkeit als persönliches Versagen. Sie schämen sich, keine eigene Altersvorsorge oder keine Rücklagen zu haben – besonders, wenn sie aus einer einst „gleichberechtigten“ Beziehung stammt. Das Gefühl, zu „nichts beizutragen“, kann lähmen.
- Angst vor Konsequenzen
Offen über finanzielle Ungleichgewichte zu sprechen, kann Spannungen erzeugen – besonders dann, wenn der Partner oder die Partnerin die finanzielle Kontrolle als Machtmittel nutzt. Das Schweigen ist oft ein Schutzmechanismus.
- Mangelndes Wissen
Oft fehlen Basiskenntnisse in Finanzfragen. Wer sich lange nicht um Geld gekümmert hat, fühlt sich unsicher oder überfordert – und zieht sich zurück, statt aktiv zu werden.
Wenn Geld zur Macht wird: Die unsichtbare Kontrolle
Finanzielle Abhängigkeit kann zur stillen Form von Kontrolle werden – besonders in toxischen Beziehungen. Dabei geht es nicht nur um offensichtliche Fälle wie das Vorenthalten von Geld, sondern auch um subtilere Dynamiken:
- Entscheidungen über größere Ausgaben werden einseitig getroffen
- Taschengeldmodelle statt eigenem Konto
- Schuldgefühle, wenn eigenes Geld für „nicht Notwendiges“ ausgegeben wird
- Abwertung von unbezahlter Care-Arbeit
Diese Situationen sind emotional belastend und können den Weg aus einer ungesunden Beziehung massiv erschweren – selbst, wenn der Wunsch nach Trennung längst da ist.
Was braucht es für mehr finanzielle Unabhängigkeit?
- Finanzbildung von Anfang an
Schulen und Elternhäuser sollten Finanzwissen ebenso vermitteln wie Medienkompetenz. Frauen und Mädchen brauchen frühzeitig Vorbilder, die zeigen: Du darfst – und sollst – dein Geld verstehen und verwalten.
- Eigene Konten und Transparenz
Ein gemeinsames Konto kann sinnvoll sein – aber jedem Menschen sollte ein eigenes Konto zustehen, auf das nur er oder sie Zugriff hat. Finanzielle Transparenz in Beziehungen schafft Vertrauen und Augenhöhe.
- Erwerbstätigkeit ermöglichen – auch in Teilzeitphasen
Gesellschaft und Politik sind gefordert, Arbeitsmodelle, Betreuungsstrukturen und faire Bezahlung so zu gestalten, dass Teilhabe für alle möglich ist. Wer sich um Kinder oder Angehörige kümmert, darf nicht finanziell abgehängt werden.
- Gesprächskultur stärken
Sprecht über Geld. Frühzeitig. Ehrlich. Nicht nur, wenn es um gemeinsame Anschaffungen geht, sondern auch über langfristige Ziele, Sorgen, Ungleichgewichte. Geld ist kein Tabuthema – sondern ein Beziehungsthema.
- Unterstützung bei Trennungssituationen
Für Betroffene, die aus finanzieller Abhängigkeit aussteigen möchten, braucht es niedrigschwellige Hilfsangebote:
- Beratungsstellen (z. B. pro familia, Frauenhäuser, Schuldnerberatung)
- rechtliche Aufklärung (z. B. zum Unterhalt oder Zugewinnausgleich)
- finanzielle Soforthilfen bei akuter Trennung
Ein Blick auf die Zahlen
Laut Studien des Bundesfamilienministeriums sind in Deutschland fast 80 % der unbezahlten Care-Arbeit weiblich besetzt. Viele Frauen arbeiten in Teilzeit – oft mit gravierenden Folgen für Rente, Selbstwert und Sicherheit. Gleichzeitig ist der Gender Pension Gap weiterhin alarmierend: Frauen erhalten im Schnitt 43 % weniger Rente als Männer.
Diese Zahlen zeigen: Finanzielle Abhängigkeit ist nicht nur ein individuelles, sondern ein strukturelles Problem.
Fazit: Geld ist Freiheit
Finanzielle Unabhängigkeit bedeutet mehr als ein eigenes Einkommen. Sie bedeutet Sicherheit, Entscheidungsfreiheit und Gleichwürdigkeit in Beziehungen. Sie ermöglicht, „Nein“ zu sagen, wenn es nötig ist – und „Ja“ zu sich selbst.
Es braucht Mut, über finanzielle Abhängigkeit zu sprechen. Aber noch mehr Mut braucht es, sie zu hinterfragen – und Wege herauszufinden.
Frage an dich:
Kennst du Momente, in denen finanzielle Unterschiede in deiner Beziehung eine Rolle gespielt haben? Wie hast du (oder wie habt ihr) darüber gesprochen – oder geschwiegen?
Teile deine Gedanken – denn jedes Gespräch hilft, ein Tabu zu brechen.
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